Von „falschen“ und „richtigen“ Fragen

“Wie viele E-Ladestationen benötigen wir 2030?“

Ist das eine sinnvolle Frage? Ich finde: nein.

  • Nach Schätzungen von McKinsey benötigen wir 15.000 neue Ladestationen pro Woche bis 2030, entsprechend ~400 * 15.000 = 6.000.000 Ladestationen
  • Betreiber von Ladesäulen als auch der BDEW machen … eine andere Rechnung auf … könnten gegebenenfalls auch 180.000 Ladesäulen ausreichend sein.“

Eine schnelle Suche im Internet ergibt zum Thema „Ladestationen bis 2030“
33-fache Unterschiede in den Schätzungen. Wenn bei Planungsgrößen derartige Unterschiede oder Unschärfen enthalten sind, kann doch die Planung samt einer zielgerichteten Ausführung nur schiefgehen.

Die Schätzungen sind – für sich betrachtet – wahrscheinlich im jeweiligen Kontext gültig. In einem gemeinsamen Kontext widersprechen sich die Schätzungen jedoch. Bringt uns das weiter? Ich finde: nein.

Bei dieser Betrachtung kommen die Schätzungen von zwei – teils gegenläufigen – Interessen: also “die eine Seite“ und “die andere Seite“, eindimensional und ohne Abstufungen.

Fragen wir doch mal anders:

„Wie soll die Elektro-Mobilität 2030 aussehen?“

Ist das eine sinnvolle Frage? Ich finde: nein.

Also, diese Frage ist sicher schon etwas zielführender, aber beschränkt die Betrachtung auf einen speziellen Themenbereich „Elektro-Mobilität“ und ist damit stark von der Formulierung des Zieles abhängig. Immerhin haben wir jetzt schon mögliche Abstufungen in der Betrachtung zur Verfügung (Elektroroller/-Fahrräder/-Pkw/-Lkw/-Züge).

Wir können nun eine Diskussion zu dem Thema anstreben, werden dabei jedoch von vielen möglichen Lösungen nur wenige erörtern können. Eine eindimensionale Betrachtung führt sehr wahrscheinlich auch nur zu einer eindimensionalen Lösung.

Bringen wir zusätzlich Aspekte wie zeitliche Entwicklungen, Kapazitäten, Ressourcen oder persönliche oder wirtschaftliche Interessen mit ins Spiel, kommt eine gewisse Plastizität in Bild.

Fragen wir noch anders:

“Wie mobil wollen wir 2030 sein?“

Ist das eine sinnvolle Frage? Ich meine: ja, wenn wir im Vorfeld besprechen, was mit den Begriffen „mobil“, „wollen“ und „wir“ gemeint ist.

Allein der Begriff „Mobilität“ hängt stark davon ab, wen wir fragen:
15-Jährige, junge Familien auf dem Weg in den Kindergarten, Menschen unterwegs zu Arbeit, Senioren beim Aufsuchen eines Arztes, um nur einige Beispiele zu nennen.

Stellen wir uns eine Diskussion zwischen diesen Interessen vor und wie Gemeinsamkeiten, Unterschiede und persönliche Bedürfnisse wahrgenommen werden – und das nur bei dem Ersten der oben genannten Begriffe.

Ein Begriff wie „wollen“ hat viele Lesarten. Das macht die oben genannte Frage und die daraus resultierenden Überlegungen wertvoll. Gehen wir davon aus, dass „wollen“ aus eigenen Entscheidungen hervorgeht und ein bewusster Entschluss ist, dann steckt da recht viel „persönliche Energie“ oder Identifikation drin: Man will etwas, oder man will etwas nicht. Das ist deutlich wichtiger für eine authentische Diskussion als z. B. etwas „müssen“ oder etwas „sollen“. Dieser Umstand vereinfacht Diskussionen nicht, macht sie aber häufig viel wertvoller.

Kommen wir zu dem Begriff „wir“. Wer könnte damit gemeint sein?
Frage an den Leser: Gehörst du dazu? Wenn ja, wer noch? Wenn nicht, warum nicht? Gehören 15-Jährige und Senioren auch dazu?

Ist der Begriff „wir“ nur jetzt zum Zeitpunkt der Diskussion wichtig oder auch später wenn „wir“ uns (e-mobil) bewegen und uns unter Umständen ein Auto teilen?

Sollten wir uns nicht zuerst der folgenden Frage widmen:

“Was ist uns wichtig?“

Erscheint es uns sinnvoll, die Frage nach der Anzahl von E-Ladestationen zu stellen, bevor klar ist, was uns wichtig ist?

Eine Diskussion um die Menge von E-Ladestationen – selbst perfekt inszeniert – führt uns nicht zu Antworten, was uns wichtig ist. Andersherum wird ein Schuh draus.

Die einführende Formulierung von „falschen“ und „richtigen“ Fragen ist provokant künstlich. Ich verstehe „richtig“ hier als zielführend, wenn sich die Teilnehmenden auf gemeinsame Ziele haben einigen können. Das hat einen positiven Nebeneffekt: Es gibt dann keine „falschen“ Fragen.

Auf meiner Suche nach Menschen, mit denen ich derartige Überlegungen teilen kann, basiert dieses kurze Essay auf einem Telefonat mit einem wertvollen Zeitgenossen.